40 Jahre Tageszentrum Engelsgrube Lübeck
Hiltrud Kulwicki, ehemalige Leitung des Tageszentrums
Meine persönlichen Erinnerungen an den Einzug in die Engelgrube 47
April, April – der erste April war ein Sonntag und so sind wir am Montag umgezogen. Nicht mit den großen Dingen, sondern mit einem vollgepackten Handwagen aus Holz und einem großen Banner, auf dem stand: „DIE BRÜCKE zieht um“. So ging ein kleiner Trupp von BRÜCKE-Menschen von der Mengstraße 42 über die Breite Straße gemächlich in die Engelsgrube und es sollte ein bisschen Öffentlichkeit haben.
Was nimmt man mit, wenn man umzieht? Alte, vertraute Möbel. Die Sofas aus dem „grünen Salon“ zierten die Galerie und den heutigen Musikraum (damals: Nichtraucherzimmer genannt). Dazu kamen alte Uhren und Schränke. Der letzte alte Buffetschrank nahm Essgeschirr auf und steht heute oben auf der Galerie. Ein hölzerner Teewagen, der in der Mengstraße half, das Geschirr vom Club zur Spüle zu bewegen und hier in der Diele zum Servierwagen wurde. Zwei Schreibmaschinen, eine halbautomatische für Karin, die für die Geschäftsführung und den Verein viel zu schreiben hatte, und meine rote Reiseschreibmaschine für Protokolle und allgemeine Post. Und die Telefonnummer: 7 16 91, diese wurde erst geändert, als das Tageszentrum als „BRÜCKE“ bekannt war.
Das „Du“ als Anrede, gewachsen in den Strukturen der 70er Jahre, weil wir nicht wollten, dass sich Besucher*innen, Mitarbeitende und Ehrenamtliche jeweils untereinander duzen, aber zwischen den Gruppen ein Gefälle durch ein „Sie“ entsteht. Zudem unterstützt es die Schweigepflicht – nichts ist so anonym wie Menschen, die einander nur mit dem Vornamen kennen. Es konnte verwirrend werden – es gab Zeiten, in den es sieben verschiedene Peters gab.
Die Katze Kaja kam mit und als Reinigungskraft Ursula Z., von fast allen „Mutter Z.“ genannt, weil sie großzügig Kuchen backte und geschmierte Butterbrote verteilte. Sie wusste, wer sich darüber morgens freute. Das war der Vorlauf zum Frühstück, es brauchte mehr als nur den Morgenkaffee. Es zogen auch bewährte Gruppenangebote mit in die neuen Räume: Handarbeiten, Töpfern, Malgruppe, Kräutergruppe, Ausflüge am Mittwoch und am Sonntag Wandern mit Heinz. Die Gruppen wurden vorrangig von Laienhelfer*innen und Besucher*innen angeboten. Und das Fotolabor von Helmut kam unters Dach, dorthin, wo heute der Computerraum ist, Helmut hat die „Foto AG“ mitgenommen und im Tageszentrum weiter angeboten.
Wohnraum zu finden war 1984 auch schon nicht leicht. Zwei Besucher, die in der Mengstraße schon nahe bei uns wohnten, zogen hier ins Gartenhaus und in einen Teil der Räume in der Mengstraße zogen drei Personen ein. Mitgenommen haben wir den alten VW-Bus: Für Ausflüge, Umzüge und Entrümpelungen. Der Bus selbst war auch bereits recht mitgenommen und wurde relativ zügig ersetzt.
Es kamen natürlich auch Ideen mit: Tätigkeit und Zuverdienst war über das Ladenprojekt und Fahrradreparaturen möglich, aber wir haben berentete Personen auch im Tageszentrum als Kolleg*innen beschäftigt: In der Hauswirtschaft und in der Reinigung. In der Mengstraße hatten wir ein Vollbad mit Waschmaschine. Hier konnten wir nur eine Dusche einbauen, aber für Personen in Wohnraum ohne Bad waren Dusche, Waschmaschine und Trockner wichtig. Ich nahm die Essenlisten mit; darauf standen die Namen aller, die bis zu 6 Stunden am Tag bei uns waren. Mit diesen Personen wurde diskutiert, vor allem um den Antrag und eine ärztliche Begutachtung. Es gab Misstrauen und Vorbehalte, DIE BRÜCKE war bis dahin frei von „Akten“ und Bürokratie; das Angebot konnte anonym genutzt werden. Um Bedenken ernsthaft zu diskutieren, besuchten wir die Tagesstätten in HH-Eilbek und im GPZE in der Hochallee in Hamburg. Die Besucher*innen der dortigen Tagesstätten konnten erfolgreich Bedenken ausräumen.
Die Idee der Freizeitmaßnahmen kam auch mit: 1984 konnte ich mit einer Gruppe nach Emstal bei Kassel fahren; mit der Bahn und zum Wandern, in ein Naturfreundehaus. Wir wohnten in drei Bungalows und hatten jede Menge Spaß. Die Angehörigengruppe zog mit um: Hajo und ich führten sie weiter und es gibt das Angebot heute noch. Wo war denn die Verwaltung? Im kleinen Gruppenraum hinter dem Zentralbüro saßen Ute, Oda und – für den Verein – Marianne. Unterm Dach hatten die Geschäftsführer ihre Räume: Peter Bruhn und Dirk Wäcken. Das war’s.
Was wir mitnahmen, blieb und wandelte sich, wuchs und differenzierte sich. Es gab jedoch auch Verluste. Verloren haben wir viele engagierte ehrenamtliche Kräfte. Diese sahen ihre gute Gruppenarbeit durch Fachkräfte bedroht und suchten sich aktiv neue Gebiete. Das Ehrenamt umfasste noch gesetzliche Betreuungen (damals „Pflegschaften“), alltagspraktische Hilfen, Wohnen in Krisen auf der Gästecouch und private Treffen und Kontakte über DIE BRÜCKE hinaus. Gemeinsame Planung von Jahreszeitenfesten (Fasching, Tanz in den Mai und Herbstfest fielen irgendwann weg, Sommerfest und Weihnachtsfeier wurden so gestaltet, wie es bis heute Tradition geblieben ist). Die Öffentlichkeitsarbeit gab es aber noch. Im Laufe der Zeit lag die Konzentration des Ehrenamts in den Clubangeboten, deren Organisation wir ursprünglich mit dem Umzug in die Hände der Besucher*innen legen wollten. Verloren haben wir ein Haus, in dem alle Türen und Schränke offenstanden. Durch kleine und größere Verluste mussten immer mehr Räume verschlossen werden. Auch wenn wir wussten, dass dies aus Notsituationen und nicht aus Böswilligkeit geschah, musste Eigentum geschützt werden. Verloren haben wir relative Freiheit von bürokratischen Hürden und damit wertvolle Zeit, die wir mit den Besucher*innen verbringen wollen.
Erst erschien uns das Haus im Vergleich unglaublich groß – und es ist sehr schnell zu eng geworden. Zuerst zog das Betreute Wohnen aus, später dann die Tagesklinik, selbst mit dem Nachbarhaus wurde es zu eng. Was hat alle Zeiten überdauert? Der niederschwellige Zugang in die Beratung, den Club, die Begegnungsstätte und zu den Offenen Angeboten, die allen Menschen, die in Lübeck leben, zur Verfügung stehen. Das ist nach wie vor besonders in Lübeck und auch besonders gut, weil wir Personen erreichen und begleiten können, die gute Gründe haben, sich (oft nur zunächst) nicht auf Angebote zur Teilhabe einzulassen, die mit Anforderungen im Rahmen des Antrags auf Kostenübernahme verbunden sind. Das war das „Herzstück“ der ursprünglichen Arbeit und der Dank geht an die Hansestadt Lübeck, die diese fallunspezifische Arbeit weiter trägt und ermöglicht.
Von Anfang an leseen: Pioniere erinnern sich, Teil 1 – Dirk Wäcken..