Nicht nur ländliche Idylle

Tagesstätte Hof Ottenbrücke

Neun Hektar landwirtschaftlich zu nutzende Fläche zwischen Middelburger Au und Seen umgeben unsere Tagesstätte Hof Ottenbrücke bei Süsel im Kreis Ostholstein. Ich steige aus dem Auto und mache erst mal ein paar Fotos von den Kamerunschafen, die sich im Baumschatten an einer Futterkrippe gütlich tun. Auf einem Gemüsebeet wachsen Seite an Seite Rhabarber, Erdbeeren, Lauch und vieles mehr. Angrenzend eine große Weide. Zwei Kühe liegen im stets offenen Stall in frischem Stroh und scheinen hier ein aus Kuhsicht müßiges und luxuriöses Leben zu führen. „Bauernhofromantik pur“ denke ich und bin neugierig, wie sich das Angebot einer Tagesstätte für Menschen mit psychischen Erkrankungen mit dieser scheinbar verträumten Idylle in Einklang bringen lässt.

Ergotherapeut Marcus Heinrich begrüßt mich in Arbeitsschuhen und Cargohose: „Juliane sollte auch gleich hier sein. Sie ist gerade noch mit den Pferden unterwegs.“ Kaum hat er das gesagt, sehe ich die Kollegin in Begleitung zweier Nutzer des Tagesstättenangebotes durch das Hoftor kommen. Einer von ihnen sitzt in Stute Midzys Sattel, ein weiterer führt Wallach Mac am Halfter. Juliane Sauerland-Hohan, Heilpädagogin und Pferdeexpertin, leitet die Gruppe an, die sich der regelmäßigen Pflege sowie dem Ausreiten und Longieren der beiden ehemaligen Kutschpferde verpflichtet hat.

Dann stellt mir Juliane Herrn Hamann vor. Er nutzt schon seit acht Jahren das Angebot der Tagesstätte und will mich auf dem Hof herumführen. Im Gewächshaus ist die Luft feuchtwarm und es sieht richtig nach Arbeit aus. Mehrere Personen in professioneller Arbeitskleidung sind mit Unkrautjäten, Gemüsepflanzen und Wässern beschäftigt. An einer Wand stehen gut sortiert und beschriftet: Grabeforke, Rechen, Harke, Spaten und Schaufel. Salatköpfe und Radieschen können bereits geerntet werden. Mir tut schon der Rücken weh, als ich die Paprika aus der Froschperspektive fotografiere. Draußen erfahre ich, dass die Hochbeete aus gefällten Baumstämmen von den Nutzer*innen unter Marcus‘ Anleitung selbst gefertigt wurden. Herr Hamann entfernt schnell noch ein paar trockene Triebe von den Kräutern und prüft umsichtig die Bodenfeuchte, bevor er mir die Werkstatt zeigt.

In diesem ehemaligen Stallgebäude wird vieles, das auf dem Hof benötigt wird, selbst gebaut und instand gehalten. Beeindruckend ist die Menge und Vielfalt an gut sortiertem Werkzeug, das an der Wand hängt oder in beschrifteten Kisten auf der Werkbank bereitliegt. Gerade wird ein kleiner Verkaufsstand wasserfest lasiert. Für draußen ist eine Erweiterung des Hühnerstalls in Arbeit. Sie soll als Quarantänestation für erkrankte Hühner dienen, wie mir Herr Hamann erklärt. An die 40 Hühner unterschiedlicher Rassen können hier, je nach Belieben, draußen oder drinnen ihre verschiedenfarbigen Eier legen. Alles ist sehr gepflegt. Ich bekomme Appetit auf selbstgebackenen Kuchen, doch unser Rundgang ist noch nicht beendet.

Im Pausenraum, der mit einem Ofen und selbstgehacktem Holz beheizt wird und der deshalb „Kaminzimmer“ genannt wird, stehen auf einem Tisch Thermoskannen und Wasserflaschen. An einer Garderobe hängen wetterfeste Jacken, darunter eine Reihe von Gummistiefeln. Draußen posiert Herr Hamann mit Stolz auf „seinem“ Traktor, bevor ich die Küche sehen darf. Heute Mittag stehen Pellkartoffeln mit Kräuterquark auf der Speisekarte. Aber nicht nur ihre eigenen Mahlzeiten bereiten die Nutzer*innen hier unter fachkundiger Anleitung von Bauernhofpädagogin Manuela Gülck selbst zu, sondern je nach Jahreszeit auch „Eingemachtes“ und andere, für den Verkauf bestimmte Erzeugnisse. Als ich mich nach Milchprodukten erkundige, erfahre ich, dass die beiden Kühe ausschließlich zur Schlachtung bestimmt sind. Es geht einige Stufen rauf, in den gemütlich im Landhausstil eingerichteten Gruppenraum des um 1900 erbauten Hauses. Von der großen Terrasse aus hat man eine weitläufige Aussicht auf die zahlreichen Obstbäume und -sträucher. Dank guter Pflege werfen sie meistens eine reiche Ernte ab, woraus dann wiederum viel Kompott und Most herzustellen ist.

Beim Kaffee erzählen mir Juliane und Herr Hamann noch, wie so ein typischer Tagesablauf in der Tagesstätte aussieht. Im Sommer werden die Besucher*innen, bereits gegen 7:00 Uhr von den drei hofeigenen Bussen an verschiedenen Sammelpunkten abgeholt. Im Winter geht es eine Stunde später los. Nach der Ankunft auf dem Hof startet der Tag mit einer 15-minütigen Morgenrunde. Hier wird besprochen, welche Arbeiten anstehen und für die Tagesaufgaben werden Gruppen eingeteilt. Gegen 12:00 Uhr gibt es ein gemeinsam zubereitetes Mittagessen. Den Speiseplan stellt Manuela Gülck auf. Sie ist zuständig für die Hauswirtschaft und leitet die Kochgruppe bei der Zubereitung der Mahlzeiten an. Der Tag endet mit einer Abschlussrunde. Gemeinsam wird resumiert, wie der Tag gelaufen ist. Was lief gut, was nicht? Was konnte fertig gestellt werden? Ist vielleicht ein Tier krank? Zudem gibt es wöchentlich stattfindende Termine einzelner (Interessen-)Gruppen. Neben der Pferdegruppe gibt es z. B. jeden Donnerstag eine Spielrunde, in der oft Schach gespielt wird.
14-tägig findet ein Plenum statt. Hier haben die Themen, Wünsche und Ideen der Leistungsberechtigten Platz und ebenso die weiteren Planungen, wie Anschaffungen, Ausflüge oder Feste. Auch Kritik, Konflikte oder Ankündigungen dürfen hier geäußert werden.

Ich bedanke mich bei Herrn Hamann, Juliane und Marcus für die aufschlussreichen und anregenden Einblicke in das Geschehen in der Tagesstätte Hof Ottenbrücke und steige in mein Auto. Auf der Heimfahrt beschließe ich, in meinem Garten ein Hochbeet anzulegen.

Zur Website des Angebotes Tagesstätte Hof Ottenbrücke..

Alexandra Bosselmann