40 Jahre Tageszentrum Engelsgrube Lübeck
Dirk Wäcken, Vorsitzender DIE BRÜCKE Lübeck und Ostholstein e. V.
Der Glaube an die gute Sache
Zum Zeitpunkt der Planung, das erste Gespräch fand am 1. Mai 1979 statt, waren sowohl die Finanzierung der Investitionen als auch die der Folgekosten aus den geplanten Projekten völlig unklar, offen und bislang ohne Beispiel. Kaum noch vorstellbar, wie die Frauen und Männer der ersten Stunde die Vision einer großen, psychiatrischen Einrichtung, mitten in der Stadt und die Komplettsanierung eines Speichers aus dem Mittelalter vorangetrieben haben. Alle Fakten sprachen eigentlich gegen das Speicherprojekt: ein kleiner Verein, ohne jegliches Vermögen und regelmäßiges Einkommen. Und chronisch psychisch kranke Menschen aus den Landeskrankenhäusern zurück in die Städte und Gemeinden zu holen, ein unerhörter, nicht vorstellbarer Vorgang für die Bevölkerung zu damaliger Zeit. Doch der Glaube an die gute Sache, eine veränderte politische Einstellung und das besondere politische und gesellschaftliche Umfeld in Lübeck, ließen für die mutigen Frauen und Männer einen Rückzug nicht zu. Entscheidend auf diesem Wege waren auch, den Paritätischen als Partner zu gewinnen und mit ihm gemeinsam auf Augenhöhe eine gemeinnützige GmbH zu gründen. Und damit verbunden betriebswirtschaftliche Professionalisierung und Begrenzung der Risiken.
1979 beschloss die Hansestadt Lübeck, der BRÜCKE das Haus zu überlassen und die Sanierung durch die hauseigene Gesellschaft Trave begleiten zu lassen. Voraussetzung für die damals hohe Förderung waren jedoch private Spenden als Initialzündung und Eigenanteil beizubringen. Die Erlöse aus dem Altstadtfest, die Stiftungsgelder von Possehl, Dräger und der Aktion Mensch (damals noch Aktion Sorgenkind) machten dann eine Gesamtfinanzierung möglich. Nach Fertigstellung kam dann die Phase, das Haus nicht nur mit Leben zu füllen, für die BRÜCKE mit ihrer großen Nachfrage von betroffenen Menschen kein Problem, sondern für eine Finanzierung der laufenden Betriebskosten zu sorgen. Die uns heute bekannten Versorgungsangebote der Gemeindepsychiatrie, waren in den achtziger Jahren gar nicht oder nur rudimentär vorhanden. Über die Versuche, für eine Tagesstätte, für Ambulant Betreutes Wohnen, für eine medizinische Tagesklinik und für das so genannte teilstationäre Wohnen eine Regelfinanzierung und eine gesicherte Bezahlung der Mitarbeiter*innen zu bekommen, ließe sich sicher ein dickeres Buch schreiben. Der Weg war mit Rückschlägen gepflastert, doch wir setzten uns durch und setzten für Schleswig-Holstein den Maßstab und lieferten die Blaupause.
Vergessen dabei sollte man nicht die hoch engagierten, ersten Mitarbeitenden, die in befristeten, prekären Arbeitsverhältnissen mit ihrer Arbeit den Nachweis lieferten, dass der neue Umgang mit schwer psychisch kranken Menschen möglich ist, ihnen ein würdevolles Leben näherbringt und auch letztlich den Familien, den Betrieben und dem Miteinander in der Gesellschaft dient.
Nachdem Menschen mit Behinderung seit Jahrzehnten aus der Gesellschaft entfernt wurden, war es für viele Menschen unvorstellbar, sie aus den großen Landeskrankenhäusern zu entlassen. Es kam Ihnen vor wie eine Öffnung von Gefängnistoren. Doch es gab einzelne Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen, humanitären, politischen und medizinischen, Vertrauen in uns setzten und Stück für Stück neue Projekte zum Erfolg führten.
Diese Erfolgsgeschichte war ansteckend, in Schleswig-Holstein ist ein Gemeindepsychiatrisches Netzwerk mit hunderten von Angeboten in den Gemeinden und Städten entstanden. Die Gemeindepsychiatrie ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Gleichwohl lehren uns die derzeitigen politischen Verhältnisse wachsam zu bleiben. Die Ausgrenzung von Minderheiten bekommt im politischen Raum eine ungeahnte, neue Aktualität.
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