Ausstellung im PONS – 50 Jahre Teilhabe *Bausteine*

Jubiläumsausstellung der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein
im Restaurant Pons, An der Untertrave 71-73, Lübeck: 

Teilhabe hat sich in den letzten 50 Jahren stark verändert. Ansätze, Prinzipien, Vorgehensweisen und Ziele der Teilhabe haben einen gesellschaftlichen Wandel erlebt. So sind wir auf die Suche gegangen nach Bausteinen, die für die BRÜCKE Lübeck und Ostholstein im Laufe der Jahre von Bedeutung waren und immer noch tragend sind, wie Bausteine halt sind.

Wir haben 10 Themen oder Aussagen benannt und dazu sowohl eine bildnerische als auch eine schriftliche Interpretation gesucht und gefunden. Zu Wort kommen Menschen, die in ganz unterschiedlichen Bezügen zur BRÜCKE stehen, als Nutzer*in, als Mitarbeiter*in, als Laienhelfer*in, als Kooperationspartner*in. Die Bilder sind teils historisch und teils aktuelle Interpretationen, fotografiert unter anderen von der Foto-AG im Tageszentrum der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein.

Im Pons zu sehen sind die Bilder und auf diesen befinden sich QR-Codes, über die die dazugehörigen Texte eingescannt werden können. Kommen Sie vorbei und probieren sie es aus.

Die Vernissage zur Ausstellung findet statt am 29.08.2023 um 18:00h im Gastraum vom Restaurant Pons unseres ADiNet. Die Ausstellung ist im Pons vom 30.08.-11.12.2023 täglich von 11:30-14:30h zu sehen. Parallel wird die Ausstellung im Eutiner Veranstaltungshaus der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein in der Bahnhofsstr. 28a ausgestellt.


Erste Anfänge / Modellprojekt

Es ist ja an sich nichts schlechtes, Visionen zu haben. Aber diese schien doch zu fantastisch, geradezu verrückt.

Der junge Verein, die Brücke hatte sein Quartier in den Siebzigern als Untermieter im Keller eines Ganghauses in der geraden Querstraße und überlegte umzuziehen in die Mengstraße 42. Aber dort sollte die Miete etwa 300 DM pro Monat kosten. Wird man das stemmen können? Der Kassenwart hatte Bedenken.

Gleichzeitig gab es die Idee, den Speicher in der Engelsgrube 47 zu sanieren. Komplettsanierung. Einen der größten Speicher in Lübeck aus dem 17. Jahrhundert. Das Dach seit Jahren offen, im Prinzip alles kaputt, Sanierungskosten wohl mehr als 2 Millionen DM.

Aber diese fantastische Idee war nicht tot zu kriegen. Die Finanzierung sollte aus Städtebauförderungsmitteln erfolgen. Der Rest aus Spenden.

Architekt Deecke hatte schon mal geplant, die ersten Rechnungen hätte er natürlich auch gern bezahlt bekommen … Eine Zustimmung aus dem Landessozialministerium war nicht zu bekommen.

Irgendwie haben, man kann es aus heutiger Sicht kaum beschreiben, Der Paritätische aus Kiel und der mittlerweile neue Vorstand der Brücke in Lübeck beschlossen, eine gemeinnützige GmbH zu gründen und den Speicher anzukaufen.

Und siehe da, eine gewaltige Dynamik, setzte ein, sozusagen mit dem Rücken zur Wand für alle Beteiligten.

Der Sanierungsantrag wurde gestellt, private Sponsoren wurden gefunden. Das Bundesgesundheitsministerium nahm die Brücke in den Modellverbund auf, die erste Tagesstätte mit Regel Finanzierung, eine Tagesklinik wurde gegründet.

Das Arbeitsamt stellte die ersten professionellen Mitarbeiter im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung.

Es ruckelt hier und da, aber etwas für die Sozialpsychiatrie, einzigartiges, völlig Neues für Schleswig-Holstein und auch auf Bundesebene entstand: Ein großer, wunderschöner Speicher, mitten in der Stadt, als Begegnungs-, Betreuungs- und Behandlungszentrum für chronisch psychisch kranke, aber auch für akut kranke Menschen wurde geschaffen. Wiederstände, Ängste, ungläubiges Staunen in der Fachwelt, der Bevölkerung und in den psychiatrischen Krankenhäusern, aber auch offene und verdeckte Wiederstände galt es, zu überwinden.

Aber es gab auch großes Interesse der Betroffenen Menschen, sowohl in der Stadt, als auch in den Landeskrankenhäusern, große Hoffnungen der Angehörigen und Unterstützung durch namhafte Lübecker Bürger und von einzelnen Politikern vor Ort und auf Landesebene aus allen Parteien.

Und wie man sieht, am Ende ging alles gut. Der Speicher mit dem Tageszentrum der Brücke ist bis heute, ein Meilenstein der modernen Sozialpsychiatrie für Lübeck und weit über die Landesgrenzen Schleswig-Holsteins hinaus.

Dirk Wäcken                                                                                                 Foto: Unbekannt


Persönliches Engagement, engagierte Fachkräfte

Man muss sich etwas Zeit nehmen, um diese Zeichnung zu entschlüsseln. Da überbrückt doch tatsächlich ein Mann den Graben zwischen dem Landeskrankenhaus Neustadt und Lübeck.

Angst scheint der Geschäftsführer der Brücke dabei nicht zu haben. Mit den Füßen in einer Regenrinne des LKH stehend, hält er sich am oberen Mauerwerk der Brücke fest. Wenn man aufmerksam hinschaut, sieht man am Kanal das Burgtor und einige Hausfassaden der Stadt. Trotz der gewaltigen Größe des Brücke-Speichers ist hier alles kleinteilig gezeichnet. Ganz im Gegensatz zur linken Seite: deren Gebäudeteile mit bedrückender Massivität dargestellt sind, einschließlich des LKH-STOP-Schildes.

Peter Bruhn ist wirklich eine Brücke, die aus dem LKH herausführt! Das Strichmännchen auf seinem Rücken hält einen Entlassungsschein in der Hand.

Gezeichnet hat diese Szene Wilfried O., der etliche Jahre in der Forensik in Neustadt verwahrt war und dann wegen guter Führung der Brücke zur Nachbetreuung übergeben wurde.

Es ist eine bedrückende Geschichte, die Wilfried O. in die Forensik brachte. Er erkrankte zum wiederholten Male an einer Psychose und wurde deswegen in der Psychiatrie der Uni-Klinik Lübeck behandelt. Und dort begab sich das nur schwer Vorstellbare: Wilfried O. erdrosselte einen Mitpatienten. Er begründete seine Tat damit, dass er die Vision gehabt habe, er müsse den Patienten erlösen. Später wurde er in einem Gerichtsverfahren wegen Unzurechnungsfähigkeit auf unbestimmte Zeit in der Forensik im Krankenhaus Neustadt untergebracht. Er war bald ein beliebter Patient. Er zeichnete und malte viel. Man unterstützte ihn dabei, eine Ausstellung seines Schaffens in der Stadt Neustadt zu organisieren.

Die spätere ambulante Betreuung durch die Brücke war nicht immer einfach, da Wilfried O. anfänglich sehr verschlossen war. Aber das gab sich bald, und er lebte sich in die Strukturen der Brücke ein mit ihren unterschiedlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie auch in seinem häuslichen Umfeld.

So viel zur Geschichte des Zeichners O., die auch ein Teil der Geschichte der Brücke ist, nämlich einer Brücke zwischen dem LKH und unserer ambulanten Betreuung.

Peter Bruhn                                                                                       Zeichnung: Wilfried O.


ungewohnte Wege gehen / ausprobieren / Neues wagen /Orte für Begegnung und Gemeinschaft schaffen

Dieses Bild wirft viele Fragen auf, etwas von dem Geheimnis dieses Bildes möchte ich lüften.

Viele junge Männer, Mitte der achtziger Jahre, offensichtlich stolz und gut gelaunt. Wie bei Handwerkern damals noch üblich die Zigarette, „Fluppe“ lässig im Mundwinkel.

Seitens der Brücke waren wir gerade in den ersten Jahren immer auf der Suche nach möglichst realen Arbeitsmöglichkeiten für jüngere, chronisch kranke Menschen, nach deren Entlassung aus dem Landeskrankenhaus. Häufig schon mit einer jahrelangen Verweildauer dort.

Angemessene Arbeitsmöglichkeiten zu finden, war für die Sozialpsychiatrie eines der schwierigsten Arbeitsfelder.

Zum Fördern durch Arbeit kam mehr und mehr das fordern, aber auch die Überforderung. Die Gefahren schwerer Rückschläge in der Erkrankung waren zu bedenken.

Auch die subjektiven Erwartungen an den persönlichen Fortschritt, auch an eine angemessene Entlohnung waren hoch, ohne die wirkliche Effizienz der Arbeit einschätzen zu können.

Und auch für potentielle Kunden war es Neuland, sich auf ungewohnte Arbeitsweisen durch Menschen mit Behinderungen einzulassen.

Und doch, es hat sich gelohnt, immer wieder neu anzufangen. Man sieht es diesen jungen Männern an.

Es war auch eine ganz besondere Konstellation, ein innovatives Kinderkrankenhaus für Kinder mit schwerer Behinderung war bereit, Zimmerer und Tischlerarbeiten zu vergeben Auf dem Bild sieht man, dass hier gerade ein Schuppen gebaut wird, um die vielen Karren, Buggys und Kinderwagen, geschützt vor Wind und Wetter, unterzubringen.

Aber auch im Haus wird eine Station mit Einbauten versehen, um den Kindern Schlaf und Spielmöglichkeiten zu geben.

Heute würde man es wohl Inklusion nennen. Damals war es einfach von unschätzbarem Wert, Kindern mit schwersten Behinderungen etwas zu geben, was Freude in ihr Leben bringt.

Geben ist seliger denn nehmen, das spürt man beim Blick in diese Gesichter.

Dirk Wäcken                                                                                  Foto: Unbekannt


Aus Fehlern lernen / Alles braucht seine Zeit

Nicht alles wird im ersten Anlauf gut! Es gab Ideen die erst im zweiten oder dritten Anlauf funktionierten und manche auch gar nicht. Als Beispiel kann hier der Bereich Arbeit betrachtet werden. In den 1970er Jahren war eine psychische Erkrankung gleichbedeutend mit einem lebenslangen Ausstieg aus dem Erwerbsleben. Der Rentenbescheid wurde sozusagen mit der Diagnose fast automatisch erstellt. Von der Bedeutung des Themas Arbeit für einen psychisch erkrankten Menschen war die BRÜCKE früh überzeugt und hat versucht entsprechende Angebote aufzubauen. Ein erster Anlauf war, eine Tischlerei einzurichten, einen Tischler einzustellen und Arbeitsplätze anzubieten. Die Idee war ambitioniert, doch die Umsetzung war zu anspruchsvoll und die Mitarbeiter*innen durch die damaligen Medikamente zu eingeschränkt.

Es gab auch Ladenprojekte, in denen die Produkte aus den Ergotherapien verkauft werden sollten. Es wurden Ladenflächen angemietet und psychiatrieerfahrene Menschen sollten und wollten die Waren verkaufen. Leider wurde der Laden wenig besucht, was evtl. auch daran lag, dass im Laden geraucht wurde und vor lauter Qualm die Waren kaum zu finden waren.

Warum konnten die Ideen nicht funktionieren? Zum einen waren die Medikamente viel einschränkender und hatten starke Nebenwirkungen. Doch den weitaus größeren Anteil machte das damalige Verständnis von Krankheit und deren Behandlungsmodelle aus, Medikamente zu geben, Symptome zu lindern und dann als geheilt zu entlassen. Heute beginnt da die eigentliche Therapie …

1991 begann die Brücke mit dem psychosozialen Dienst (PSD), dem heutigen Fachdienst Arbeit und mit der praxisorientierten Bildungsmaßnahme (POB), dem heutigen Avista-Angebot. Zur damaligen Zeit waren es Pioniermaßnahmen. Es entwickelte sich allgemein eine Idee und das Verständnis, dass psychiatrieerfahrene Menschen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Wir haben damals von Integration und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gesprochen. Grundsätzlich hatten sich damals die Menschen dem Arbeitsmarkt anzupassen, sie mussten sozusagen passend gemacht bzw. trainiert werden. Aus heutiger Sicht mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, hört sich das völlig unpassend an, doch das Verständnis war noch so.

Es gab und gibt aber auch immer wieder Menschen, für die die Arbeitsbedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht angemessen sind und die trotzdem arbeiten wollen. So entstand die Idee das Callcenter „Hansecall“ aufzubauen, um einerseits die Buchungen für Stattauto Lübeck und Kiel zu bearbeiten und andererseits für kleinere Handwerksbetriebe tagsüber die Telefonzentrale zu übernehmen, so dass die Handwerker nicht dauernd gestört werden. Auch dieses Projekt hat nicht geklappt, da damals der Anspruch an eine perfekte und produktive Dienstleistung zu wenig den Arbeitsmöglichkeiten der psychiatrieerfahren Mitarbeitenden entsprach.

Die Arbeitsbedingungen hätten sich also den Möglichkeiten der Menschen anpassen müssen. So entwickelte sich der Gedanke der Inklusion.

2007 starteten mit dem Arbeits- und Dienstleistungsnetzwerk ADiNet und in den Folgejahren mit den Bücherwürmern in Ostholstein die derzeit aktuellsten Beschäftigungsangebote der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein und da wir hier die Rahmenbedingungen den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Beschäftigten angepasst haben, sind hier viele Menschen erfolgreich tätig.

Arbeit ist mehr als reine Erwerbstätigkeit.

Tilman Schomerus                                                  Foto: T. Schomerus


Wundertüte Laienhilfe bzw. Ehrenamt

Vor über 20 Jahren gab es einen tiefen Einschnitt in meinem Leben, der mich zwang, meine Zukunft neu auszurichten. So suchte ich u.a. nach einer neuen sinnvollen Aufgabe. In Gesprächen mit Freunden kam das Thema Ehrenamt auf. Zur gleichen Zeit suchten die Laienhelfer*innen der Brücke neue Mitstreiter*innen.

Schon die freundliche Atmosphäre am Informationsabend in der Engelsgrube hatte eine positive Wirkung auf mich, so, dass ich mich auf eine Mitarbeit einließ.

Angeleitet und unterstützt durch die erfahrenen Ehrenamtler*innen und dem hauptamtlichen Mitarbeiterteam wurden die regelmäßigen Einsätze schnell zu einer wichtigen Aufgabe für mich.

Bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen wurde und wird in den von uns Laienhelfer*innen betreuten Clubs gelacht, gespielt, gesungen, über Sorgen und alltägliche Probleme geredet. So kamen und kommen wir schnell mit unseren Gästen in Kontakt und freuen uns auf das nächste Zusammentreffen:

Aus den Nachfragen von Besucher*innen und den Möglichkeiten von ehrenamtlicher Seite entstehen auch immer wieder Hobbygruppen, z.B. für gemeinsame Spaziergänge und Theaterbesuche, eine Boulegruppe, eine Malgruppe u.a.m.

Irgendwann habe ich mich zur Mitarbeit im Vereinsvorstand überreden lassen und bin jetzt das Bindeglied zwischen der Laienhelferschaft und dem Vorstand (ebenfalls ehrenamtlich tätig), dem die Laienhelfer*innen sehr wichtig sind.

Besonders beeindruckt hat mich von Anfang an der freundliche und wertschätzende Umgang mit allen im Haus verbundenen Menschen. Selbst in schwierigen Situationen gab und gibt es immer für jeden eine(n) Ansprechpartner*in und eine Lösung.

Wir geben als Ehrenamtler*innen viel, bekommen aber auch viel zurück von unseren Gästen.

Und das macht jeden Einsatz zu einem guten und gelungenen Tag.

Sieglinde O.                                             Graphik: Sebastian Carstensen


Die Entwicklung der gemeindenahen Psychiatrie im ländlichen Raum am Beispiel Ostholstein

Der Kreis Ostholstein unterhält für die psychiatrische Versorgung zwei sehr große Komplexanstalten, die sowohl Klinikbetten, als auch Angebote der Eingliederungshilfe im Bereich Wohnen vorhalten. In den 80iger Jahren waren es weit über 3000 stationäre Plätze – darunter auch viele im forensischen und geschlossenen Bereich. Über Jahrzehnte in einer psychiatrischen Anstalt leben zu müssen war für viele schwer erkrankte Menschen keine Seltenheit.

Die Landschaft war zusätzlich geprägt durch meist privat geführte Pflegeheime, die als „Ausgliederungsanstalten“ für Langzeitpatient*innen von den Stationen herhielten – auch hier zumeist lebenslänglich.

Einzugsgebiet waren weite Teile Schleswig – Holsteins und Niedersachsen.

Als Der Paritätische Landesverband Schleswig-Holstein Anfang der achtziger Jahre nach Vorgesprächen mit der schon bestehenden Brücke Lübeck begann, erste gemeindepsychiatrische Angebote aufzubauen, war die Ablehnung angesichts der Überversorgung mit stationären Plätzen sehr groß. Obwohl es nur kleinste örtliche Bürgerinitiativen waren, die sich für die Rechte psychisch Erkrankter in ambulanten Versorgungsstrukturen in ihren Heimatorten stark machten, so fühlten sich die Betreiber und Mitarbeiter der riesigen Anstalten sofort in ihrer Daseinsberechtigung bedroht.

Daraus resultierte auch die Besonderheit – und hier besonders im ländlichen Raum, dass die nachgewachsene Bevölkerung Menschen mit Behinderung im Straßenbild und an Arbeitsplätzen überhaupt nicht mehr kannte. Wer in der Nachkriegszeit mit schweren Behinderungen auf die Welt kam oder welche im Laufe des Lebens entwickelt hatte und auffällig war, wurde in weit entfernt liegende Anstalten untergebracht. Und das meist auf Dauer.

Mangelnder Kontakt, Vorurteile, mangelndes Wissen, Stigmatisierungen und Diffamierungen führten zu einer starken Ablehnung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen.

Die Betroffenen selbst jedoch setzten große Hoffnungen in die neu entstehenden Initiativen unter dem Namen der BRÜCKE. Es wuchs eine Hoffnung auf Freiheit, auf Selbstbestimmung, auf Arbeit und auf ein Leben in der Heimatgemeinde mit der Familie.

Der 1987 in Ostholstein gegründete Verein hatte spontan großen Zulauf. Betroffene, Angehörige und besonders junge Menschen, häufig geprägt durch die politische Aufbruchsstimmung der siebziger Jahre, schlossen sich der Initiative an und traten ein für die Rechte psychisch erkrankter Menschen auf selbstverständliche Teilhabe in der Gesellschaft.

Wir können heute auf eine bewegte und bewegende Zeit beim Aufbau der Brücke in Ostholstein im ländlichen Raum zurückblicken: Treffpunkte und ambulante Angebote sind in einer Vielzahl entstanden, Teilhabe am sozialen und auch am Arbeitsleben wurde ermöglicht, Stigmatisierungen entgegengewirkt, moderne und innovative Behandlungsmethoden entwickelt, einschließlich einer ständigen Weiterentwicklung nebenwirkungsärmerer Psychopharmaka.   Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ist ganz sicher eine tiefgreifende gesellschaftliche Errungenschaft dieser Zeit. Und dennoch fallen auch unter diesen verbesserten Bedingungen weiterhin Menschen durch die Maschen und zeigen sich Lücken in der Versorgungsstruktur. Bürokratie und Antragstellung setzen Hürden für genau die Menschen, für die diese Entwicklung auch eine Überforderung bedeutet. Aufgrund der Schwere der Erkrankung kann häufig der freie Wille nicht selbstbestimmt geäußert werden, um in notwendige Behandlung und Hilfen einwilligen zu können.

Der ländliche Raum hat sich verändert und das ist gut so und dennoch liegt noch ein weiter Weg vor uns zur echten, gelebten Inklusion.

Dagmar Gertulla                                                             Foto: Norbert Wilm


„Vernetzung/ breit aufgestellte Angebote für alle Lebenslagen“

Als Herr Schomerus mit der Bitte an mich herantrat, einen Text zu verfassen, der für mich diese Vernetzung und breite Angebotspalette der Brücke Lübeck verdeutlicht, dachte ich zuerst: „Das ist ja nicht schwer bei dem vielfältigen Angebot der Brücke und der Zusammenarbeit mit der Brücke in diversen Arbeitskreisen, allen voran der „Arbeitskreis Gemeindenahe Psychiatrie“ und Gremien; wie der „Medizinische Beirat“, in denen u.a. die psychiatrischen Kliniken vertreten sind. Aber wo fange ich an?

Als ich 1999 noch unter Prof. Dilling in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie begann, gab es die Brücke bereits, und sie war schon damals fester Bestandteil der psychosozialen Versorgung in Lübeck, auch wenn mir seinerzeit die Vorstellung fehlte, was dies konkret bedeutete.

Seitdem hat sich sehr viel getan. Nach einigen Stationen führte mich mein beruflicher Weg 2014 zum sozialpsychiatrischen Dienst der Hansestadt Lübeck. Dort konnte ich feststellen, dass sich im Bereich psychosozialer Begleitung und psychiatrischer Versorgung bei der Brücke enorm viel verändert hatte: Neben der Tagesklinik und den psychiatrischen Institutsambulanzen gab es mittlerweile mehrere Wohneinrichtungen (heute besondere Wohnformen) für die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Personenkreise, Tagesstätten, Arbeits- und Beschäftigungsprojekte, ambulante Betreuungsangebote (heute Assistenzleistungen im eigenen Wohnraum), Sozialpsychiatrische Krankenpflege und den Club, um nur einige zu nennen. Es hat lange gedauert, bei der Vielfalt einen Überblick zu bekommen. Nicht zuletzt hilft mir dabei der „Psychosoziale Wegweiser“, der von der Brücke (zusammen mit anderen Unterstützern) immer wieder überarbeitet und aktualisiert wird. Das ist auch nötig, da im Zuge der Anpassungen an sich ändernde Bedarfe und Rahmenbedingungen immer wieder neue Angebote hinzukommen, bzw. bestehende verändert werden.

Ich kann mich noch gut erinnern an die Entwicklung von „Frauenwege“, der Weiterentwicklung und Standortänderung des Wohnangebotes für Ältere (jetzt Ziegelstraße), den Ausbau und das Schaffen des 2. Standortes von ADiNet (eine ehemalige KFZ-Werkstatt am Kaufhof) und den Entstehungsprozess von den ersten Überlegungen bis hin zur Umsetzung im Juli 2020 von „Psychose und Sucht“ in der Katharinenstraße (um nur einiges zu nennen).

Besonders ist die Ausdifferenzierung und das sich ergänzenden Ineinandergreifen der verschiedenen Angebotstypen der Brücke. Dabei ist die BRÜCKE auch mit allen anderen Anbietern entsprechender Leistungen in Lübeck eng vernetzt.

Nun komme ich wieder zur Eingangsfrage, was für mich die Vernetzung und breite Angebotspalette der Brücke verdeutlicht. Es ist genau dies: Gemeinsam Bedarfe zu identifizieren, die Angebote weiter zu entwickeln und darüber im engen Austausch zu sein.

Juli 2023, Ulrike Tietz (Sozialpsychiatrischer Dienst der Hansestadt Lübeck)

Foto: Marc-Oliver Kern


Wie hat sich die BRÜCKE entwickelt? Versorgungslücken erkennen und am Bedarf der Menschen orientiert Angebote entwickeln. Ressourcenbewusst im Sinne des Gemeinwohls.

Mein Name ist Diana Kuchenbecker, Fachleitung Bereich Familienhilfen. Ich hatte am 01.07.2023 mein 20-jähriges Dienstjubiläum bei der BRÜCKE. 20 Jahre BRÜCKE, an einem Ort, bei einem Träger? JA und NEIN. BRÜCKE ganz klar JA und so wie ich an den Bedarfen orientiert die Versorgunglücken mit schließen durfte auch gerne 20 Jahre.

Im Juli 2003 bin ich im vollstationären Wohnhaus Rabenstraße mit Menschen mit einer Doppeldiagnose gestartet. Dort hatten wir das Problem, dass wir Bewohner*innen hatten, die zu fit waren für den vollstationären Bereich und noch nicht so weit waren in den eigenen Wohnraum zu ziehen. Daher entstand die Idee der Umsetzung einer teilstationären Einrichtung. Es wurde ein Konzept geschrieben und ein Gebäude in der Nähe des vollstationären Wohnhauses gefunden. Als der Hauseigentümer hörte, wer einziehen möchte in seine Wohnung, kommentierte er diese Anfrage damit, dass er an Verrückte nicht vermiete. Dirk Wäcken hat sich darüber sehr geärgert und dann kurzerhand die Frage gestellt, ob er dann an Verrückte verkaufen würde. Somit wurde das Haus gekauft und am 04.10.2005 zogen die Bewohner*innen in die erste Dreier-WG ein.

Nun hatten wir die WGs und natürlich auch Bewohner*innen die ausziehen und weiterhin begleitet werden wollten, also musste eine ambulante Betreuung für Menschen mit einer Doppeldiagnose her. Das konnten wir dank eines engagierten Teams und Geschäftsführers auch am 01.02.2013 umsetzen. Diese Einrichtung wuchs sehr schnell und entwickelte sich konzeptionell noch weiter.

Parallel zu den Entwicklungen in der Eingliederungshilfe wurde ich Anfang 2011 angesprochen, ob ich gerne mit in unserem Kindergruppenangebot „Pampilio“ für Kinder von psychisch und/oder suchterkrankten Eltern mitarbeiten wolle.  Schnell wuchsen die Kindergruppen von einer auf vier Gruppen in verschiedenen Altersstufen und wir wurden dann vom Jugendamt gefragt, ob wir auch speziell für Familien in denen eine psychische und/oder Suchterkrankung eine Rolle spielt, Sozialpädagogische Familienhilfe anbieten können. Am 01.09.2017 sind wir gestartet und seit Anfang 2019 bieten wir darüber hinaus auch Erziehungsbeistandschaften an. Das Team im Bereich Familienhilfen ist auf 16 Mitarbeiter*innen gewachsen und wir haben noch einiges vor, um gemeinsam Versorgungslücken im Sozialraum zu schließen.

So sicher wir unser soziales Netz auch aufbauen, es bleibt ein Netz und wenn wir merken, dass Menschen Unterstützung brauchen und durchs Netz zu fallen drohen, werden wir versuchen das Netz enger zu spannen.

Diana Kuchenbecker                                         Foto: Marc-Oliver Kern


Begegnung auf Augenhöhe

Antworten unser Nutzer*innen auf die Frage: „Woran merken Sie, dass Ihnen die BRÜCKE auf Augenhöhe begegnet?“

Mach aus einem Elefanten eine Mücke.
So erlebe ich die Mitarbeiter der Brücke.
Die, wenn ich anrufe, weil mir die Sicherungen durchbrennen,
mir an der Hotline Tag oder Nacht Entlastungsmöglichkeiten benennen.
Pragmatisch, metaphorisch und praktisch die Situation reflektieren,
So mein Gedankenkarussell sortieren.

Begleitung in scheinbar alltäglichen Situationen.
Wirken die Mitarbeiter förderlich, befreiend und eröffnen Optionen.
Ob gemeinsam im Café, am Strand, dem eigenen Hof oder die Fahrt im Zug.
Nichts ist zu banal, als dass man es gemeinsam tut.

Im offenen Dialog, ein konstruktives Gespräch in der Runde,
die tolerant ist, auch für Hunde.
Gemeinsam Helfernetze weben,
heißt Unterstützung zu bekommen oder auch selbst Hilfe geben.
Sie ermöglichen einen wachstumsfördernden Brückenschlag,
den ich annehme, so wie ich es gerade kann und mag.

Jasipe April 23

  • „Es wird auf meine Bedürfnisse eingegangen.“
  • „Die Mitarbeiter*innen nehmen sich Zeit für mich.“
  • „Gemeinsamer Humor und Spaß ist wichtig.“
  • „Man wird behandelt wie jeder andere Mensch auch.“
  • „Ich fühle mich gleichberechtigt.“
  • „Alle werden in Planungen und Ideen mit einbezogen.“
  • „Wenn ich in die Tagesstätte komme, krame ich manchmal in meiner Tasche nach meinem Haustürschlüssel, um aufzuschließen.“
  • Offenheit
  • „Alles darf, nichts muss.“
  • „Man darf sich hier fühlen wie man sich gerade fühlt und muss sich nicht verstellen.“
  • „Fehler sind erlaubt; Ängste auch.“
  • „Das Autoritäre ist nicht so da, es wird nicht auf mich herabgeschaut.“
  • „Ich darf hier auch mal nichts machen und meine Grenzen werden akzeptiert.“
  • Sehr menschlich
  • „Es wird nicht auf Leistung, sondern auf Gefühle geschaut.“
  • „Mir wird der Druck genommen.“
  • „Mitarbeiter*innen treffen Entscheidungen ohne dabei auf mich herabzuschauen.“
  • „Es gibt Spielraum, im Wochenplan etwas zu ändern.“
  • „Respektvolles Miteinander, Vertrauen und Ehrlichkeit“
  • „Die BRÜCKE lässt mich spüren, dass ich ein wichtiger und zu respektierender Mensch bin.“
  • „Ich wünsche mir ein festes Standbein im Leben und so ist es möglich.“
  • „Die Mitarbeiter der Brücke haben Verständnis für unsere Sorgen, Nöte und Ängste.“
  • „Sie begleiten uns zum Arzt, erledigen Papiere für uns und helfen uns mit Gesprächen.“

Nutzer und Nutzerinnen der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein im Jubiläumsjahr 2023

Foto: Marc-Oliver Kern


Respekt vor der Lebensleistung Betroffener

Liebe Besucher*in,

bitte stellen Sie sich vor: „Sie kommen gerade von ihrem Arzt und haben von ihm die Diagnose einer Psychose bekommen. Es fing ganz harmlos an mit dem Gefühl beobachtet zu werden, dann kamen Stimmen dazu. Nun haben Sie die Diagnose und können sie nicht einfach wegtun.

Was tun sie nun?

Was würden ihre Freunde tun?

Was verändert sich in Ihrem Leben?

Mit wem reden Sie darüber?

(Postkartenaktion der Inklu-AG der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein am Tag der Gleichstellung der behinderten Menschen 2021)

Foto: Marc-Oliver Kern