Fachtag WGTA: Sozialtherapeutische Wohngruppen und warum sie Zukunft haben

Mit der Enquette-Kommission in den 70er Jahren manifestierte sich das Bestreben, Menschen mit psychischen Erkrankungen ein selbstbestimmtes Leben und die gesellschaftliche Teilhabe soweit wie möglich zu erhalten, bzw. nach erfolgreicher Behandlung wieder in ein möglichst normales Leben zu entlassen. Aus dieser Zielsetzung heraus entstand die Idee von Wohnangeboten, mit professioneller, dem individuellen Bedarf der Bewohner*innen angepassten, Unterstützung durch sozialtherapeutische Fachkräfte. Die zunächst als „teilstationäres“ Wohnangebot kategorisierte Wohngruppe in der Travemünder Allee wurde vor 42 Jahren als eine der ersten Schleswig-Holsteins ins Leben gerufen. Anlässlich ihres 40 jährigen Bestehens hätte Martina Walter, die Leiterin der „WGTA“ gerne schon 2020 zu einem Fachtag eingeladen. Wegen Corona konnte dieser aber erst mit zweijähriger Verspätung am 05.05.2022 stattfinden.

Dabei waren 32 Mitarbeitende aus insgesamt 14 Wohngruppen in SH, in deren Rahmen Assistenzleistungen zur sozialen Teilhabe, wie es SGBIX konform heißt, angeboten werden. Getagt wurde im Gemeinschaftshaus Karlshof in Lübeck.

Im Vordergrund stand der Austausch und die Vernetzung, und zwar von Mitarbeitenden an der Basis, die im direkten Kontakt zu den Menschen stehen.

Ein ähnlicher Fachtag hatte zuletzt 2002 unter dem Titel „Teilstationäre Wohngruppe – ein Auslaufmodell?“ stattgefunden. Beim aktuellen Treffen sollte nun hinterfragt werden, warum es die Wohngruppen 20 Jahre später, wenn auch mittlerweile nicht mehr als teilstationäre sondern ambulante Wohnangebote definiert, immer noch gibt und was sie auszeichnet.

Die Teilnehmer*innen teilten sich in drei Kleingruppen auf um diese übergreifende Frage jeweils unter einem anderen Aspekt zu diskutieren und zu beleuchten:

  • Inwiefern nahm, bzw. nimmt das Bundesteilhabegesetz Einfluss auf die Konzeption der unterschiedlichen Wohngruppen?
  • Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Wohngruppen gibt es z. B. hinsichtlich der Freiwilligkeit von Gruppenangeboten oder im Bezugssystem?
  • Welche Standards haben sich im Konfliktmanagement etabliert?

Herauskristallisiert hat sich, dass es im Kern die Faktoren Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung sowie die Gemeinschaft als sicherer Raum sind, durch die sich die Wohngruppen im Katalog anderer sozialpsychiatrischer Angebote abheben und warum sie aus diesem nicht mehr wegzudenken sind.

Die Gruppe, die Angebote zur Tagesgestaltung sowie eine individuelle Unterstützung schaffen einen geschützten Rahmen, der den Bewohner*innen Sicherheit und Gelegenheit für neue korrigierende Erfahrungen gibt. Multiprofessionelle Teams betrachten die Menschen und Situationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dadurch können sie Krisen frühzeitig begegnen und die Bewohner*innen bestmöglich und flexibel fördern, so dass sich stationäre Klinikaufenthalte häufig vermeiden lassen.

Die ständig wachsende Nachfrage, die stetige Erweiterung, Optimierung und Zunahme der Angebote in den letzten Jahrzehnten haben gezeigt, dass sozialpsychiatrische Wohngruppen alles andere als ein „Auslaufmodell“ sind sondern eine zukunftsfähige Wohnform für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen, die einen wichtigen Beitrag zur Inklusion und Prävention leisten.