Drogen und Psychosen hängen oft eng zusammen. In diesem Beitrag erzählt eine Mutter von ihrem betroffenen Sohn, der den vorherigen Beitrag geschrieben hat. Beide möchten anonym bleiben. Wir veröffentlichen beide Berichte, da der Betroffene seine psychische Erkrankung sehr zur Freude seiner Angehörigen erkannt hat, eine Therapie durchläuft und sich – auch mit der Hilfe der BRÜCKE – auf dem langen Weg der Besserung befindet.
Bericht einer Mutter
Mein Sohn ist vor 3 Jahren an einer Psychose erkrankt. Seitdem steht unser Leben auf dem Kopf. Stark beeindruckt hat mich ein Artikel des Rundbriefes der “Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie. Hier wird dergestalt auf die Rolle und die Gefühle der Angehörigen eingegangen, ohne dabei den psychisch Erkrankten zu bewerten, dass ich mich sehr angenommen und verstanden fühle. “Eine intensiv gestörte Kommunikation, lebenslang.” Diese Worte hallen in mir nach. Im Schlusssatz heißt es: “ Denn viele Angehörige leisten etwas sehr Ungewöhnliches. Sie lernen, sich mit dem nie Erwarteten auseinanderzusetzen.”
Das trifft auf unsere Familie zu. Wir fühlen uns stigmatisiert, bewegen uns auf einem Feld umgeben von Unsicherheit, manchmal Ablehnung und Angst. Die haben wir auch. Angst um diese verlorene Seele, die an einer Psychose erkrankt ist mit 17 Jahren und seit nunmehr drei Jahren nicht mehr wirklich ins Leben zurückzufinden scheint. WARUM ? – das ganze Haus ist gepflastert mit dieser einen Frage.
Wie lebt es sich mit dieser Erkrankung, wie wirkt sie sich auf das gesamte Familiensystem aus und wo genau finden Angehörige Hilfestellungen, die sich auch so anfühlen? Auf meiner letzten beruflichen Fortbildung wurde mir der Begriff “psychisch gestörter Mensch” angetragen, der wäre jetzt gebräuchlich. Ich frage mich, was mein psychisch gestörter Sohn dazu sagen würde. Gefragt habe ich ihn noch nicht. Ich finde den Begriff vorrangig abwertend. Genauso abwertend wie das Wort schizophren als Begrifflichkeit im Alltäglichen. “Schizophrenie” hat etwas Angst machendes.
Ich kann dies heute schreiben, weil die Geschichte gerade dabei ist, eine positive Wendung zu nehmen. In der Angehörigengruppe der “BRÜCKE” habe ich gelernt, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen und finden muss. Dies trifft auch auf einen psychisch erkrankten Menschen zu. In der Theorie dachte ich: “Das ist doch selbstverständlich”. In der Praxis sieht das anders aus. Da ist es kaum auszuhalten, den geliebten Menschen sozusagen “bei lebendigem Leibe seelisch verkommen oder verkümmern zu sehen“. Der Antrieb für alles scheint zu schwinden. Und vor allem: Keinerlei Einsichtsfähigkeit in die eigene Lage.
Sollen Angehörige es akzeptieren lernen, wenn ihr Kind/Partner nicht nur die eigene Körperpflege vergisst, sondern alle menschlichen Regungen (Kontakte, Aktivitäten, Kommunikation) nicht mehr zu beherrschen scheint und in tiefster Einöde das Zimmer kaum noch verlässt?
Heute kam dann die freudige Nachricht. Das “Aushalten” nimmt ein Ende. Mein Sohn hat es tatsächlich geschafft, diesen für uns alle so wichtigen Anruf zu tätigen und eine erneute Aufnahme in einer therapeutischen Wohneinrichtung zu erfragen. Es ist seine 2. Chance nach einem Abbruch. „Selbstständig und mit Überzeugung“ – das war die Bedingung für eine weitere Aufnahme. Weil er es einsehen muss. Weil er es wollen muss.
Wieder von vorn beginnen in der “Einführungsgruppe”. Dabei möchte er so gern schon zu den “Fortgeschrittenen” gehören. Wieder wird er mit seiner Selbstüberschätzung konfrontiert. Das ist schmerzlich aber sicher wichtig. Warum hat es jetzt scheinbar geklappt mit der Eigenwahrnehmung? Was ist Angehörigen in dieser Situation zu raten, wenn die so genannte Krankheitseinsicht fehlt, worauf müssen sie achten? Wie kann der Weg aus dieser scheinbaren Endlosschleife des hilflosen Zusehens eines Scheiterns herausführen?
Ich denke an alle Angehörigen, die diese Situationen genau kennen und möchte anregen, nicht aufzugeben, eine für das gesamte Familiensystem akzeptable Lösung zu suchen. Permanent. Bei uns heißt es: Auf in die nächste Runde. In guter Betreuung und mit Perspektive. Ich bin seit langem aus vollem Herzen glücklich. Vielleicht habe ich begriffen, dass ein Scheitern nicht das Ende bedeutet, sondern dazu gehört. Immer wieder.