Talk mit den Bürgermeisterkandidat*innen: „Warum sollten wir Sie wählen?“

Lübeck den 30.10.2023
Diskutierten auf Einladung der AG Wohlfahrt im Hoghehus (von links): Jan Lindenau, Melanie Puschaddel-Freitag und Axel Flasbarth mit Stefan Krause und Dr. Thorsten Philipps (Moderation). Foto: DRK Lübeck

Am vergangenen Montag hatte die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände (AG Wohlfahrt) zu einer Diskussion mit den Kandidat*innen für das Amt des Bürgermeisters / der Bürgermeisterin eingeladen. Mehr als 70 Gäste nahmen teil. Der Talk stand unter bewusst provokant formulierten Überschriftt
„Die Zukunft des sozialen Sektors – Helfer:innen und Einsatzkräfte unerwünscht?“

Geschäftsführer der BRÜCKE Lübeck und Ostholstein, Frank Nüsse wollte wissen, welche/r der Kandidat*innen sich besonders für die Belange der Arbeitskräfte der Gesundheitsbranche sowie für die Menschen mit Unterstützungsbedarf einsetzen will:
„Warum sollte ein(e) Bürger*in der Hansestadt Lübeck, welche(r) in der Sozial- und Gesundheitsbranche tätig ist, Sie als Bürgermeister*in wählen? Un warum sollte ein(e) Bürger*in der Hansestadt Lübeck, welche(r)Unterstützungsbedarf hat, Sie als Bürgermeister*in wählen?“, so Frank Nüsse.

Wie er auf die geplanten Kürzungen der SPD-geführten Bundesregierung im Bereich Migrationsberatung und FSJ reagieren will wurde der amtierende Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) unter anderem von der Caritas gefragt. Dazu sagte Lindenau:
„Diese Kürzungen sind zum jetzigen Zeitpunkt völlig fehl am Platze. Gerade in der Kommune müssen wir in diesen Tätigkeitsfeldern weiter aufstocken, um soziale Isolation und gesellschaftliche Spaltung zu verhindern. Hier muss die Bundesregierung nachsteuern. Alles andere wäre Sprengstoff für die Zukunft, und das sollten wir dringend vermeiden.“

Ein weiteres Thema war die Förderung des ehrenamtlichen Engagements, das in der Krise steckt, weil sich immer weniger Menschen unentgeltlich für andere engagieren. Auf die Frage der AWO nach Verbesserungsmöglichkeiten sagte die Bürgermeisterkandidatin der CDU, Melanie Puschaddel-Freitag:
„Ich möchte mich dafür einsetzen, dass das Ehrenamt stärker gewürdigt wird, und zwar nicht nur im monetären Bereich, sondern dass man wahrnimmt, was dort alles geleistet wird.“
Um mehr Nachwuchs für das Ehrenamt zu gewinnen, sollte in Schulen und in der Jugendarbeit dafür geworben werden, so Puschaddel-Freitag. Auch eine mögliche Initiative auf Bundesebene für ein Pflichtjahr im Ehrenamt sprach die Kandidatin an.

Rund 70 Gäste verfolgten im Hoghehus aufmerksam die Ausführungen der Bürgermeister-Kandidat:innen. Foto: DRK Lübeck

Das DRK Lübeck wollte wissen, ob die Eltern, die ihre Kinder in Kindertagesstätten betreuen lassen, auch weiterhin mit einem Zuschuss zum Essen in Höhe von 50 Euro rechnen können, und wann die beitragsfreie Kita kommen wird. Dr. Axel Flasbarth, Kandidat von Bündnis 90/Die Grünen, sagte dazu:
„Ich bin sehr für eine beitragsfreie Kita, aber bis wir dahin kommen, wird es noch dauern.“ Davor gebe es andere dringende Probleme zu lösen, etwa für mehr Kita-Plätze und mehr Personal zu sorgen. Eine Erhöhung der Kita-Gebühren oder eine Streichung des Essenszuschusses lehnte Flasbarth ab. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Kitazuschuss auch weiterhin sowohl an den städtischen als auch an den anderen Kitas gezahlt wird.“

Gemeinsames Thema der AG Wohlfahrt war die zunehmende Armut vieler Menschen in Lübeck und die steigende Obdachlosigkeit. Auf die Frage nach einem Konzept zur Armutsbekämpfung sagte Melanie Puschaddel-Freitag (CDU):
„Wir dürfen niemanden zurücklassen. Mir sind dabei gerade die Kinder sehr wichtig.“ Hilfe dürfe nicht nur in einem Konzept stehen, sie müsse auch umgesetzt werden. „Wir als Kommune müssen uns dafür stark machen, dass jedes Kind mindestens einmal am Tag eine warme Mahlzeit bekommt.“

Jan Lindenau (SPD) wies zum Thema Obdachlosigkeit auf verschiedene Maßnahmen der Hansestadt hin:
„Wir erweitern und sanieren gerade die Obdachlosenunterkunft. Konzeptionell sind wir dabei, das Thema auch nach Geschlechtern neu zu denken, also speziell Angebote für Frauen zu machen.“
Auch für Obdachlose mit Tieren werde nach Lösungen gesucht. Um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, arbeite die Stadt unter anderem mit der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft und anderen Akteuren zusammen. Bei der Armutsbekämpfung geht es auch Lindenau besonders um Kinder und Jugendliche: Mit den vom ihm eingeführten Bildungsfond werde etwa Nachmittagsbetreuung, Musikunterricht oder Essen finanziert. Ein Ziel sei auch der kostenlose Eintritt in Museen.

Axel Flasbarth (Bündnis 90/Die Grünen) will sich dafür stark machen, die Folgen der Armut in Lübeck deutlich abzumindern, etwa in den Bereichen Wohnen, Mobilität und Teilhabe am kulturellen Leben:
„Auch das Thema Obdachlosigkeit liegt mir sehr am Herzen. Wir haben jetzt in der Bürgerschaft beschlossen, den so genannten ,Housing first‘-Ansatz auszuprobieren.“ Dabei steht das Wohnen an erster Stelle, erst danach werden Probleme wie etwa Sucht angegangen. „In Skandinavien und anderen deutschen Städten wurden damit gute Erfahrungen gesammelt. Wir freuen uns, das jetzt auch in Lübeck auszuprobieren.“

Hintergrund zur AG Wohlfahrt:
In dieser Arbeitsgemeinschaft engagieren sich große Sozialträger gemeinsam für die gleichberechtigte Teilhabe und Teilgabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Mitglieder sind in Lübeck die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Caritas, der Paritätische, das Deutsche Rote Kreuz und die Diakonie. Der Vorsitz wechselt turnusmäßig alle drei Jahre. Aktuell ist der Vorstand des DRK Lübeck, Stefan Krause, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft.